Von Dachboden und Depot ins weltweite Netz
Entstehung des Museums und seiner Sammlung
Das Weinviertler Museumsdorf Niedersulz hat seinen Ursprung in der privaten Sammel- und Bauleidenschaft des Kirchenmalers Josef Geissler. Von Jugend an interessierte er sich für das mobile und immobile Kulturerbe seiner Heimat und begann früh, sakrale, aber auch landwirtschaftliche Objekte, Hausrat und Handwerk zu sammeln. Nach der Eröffnung eines kleinen Heimatmuseums übersiedelte er mitsamt Sammlung und einem übertragenen Stadel auf ein unbebautes Grundstück, wo er im Laufe von drei Jahrzehnten mit viel ehrenamtlicher Unterstützung ein idealtypisches Weinviertler Bachzeilendorf aufbaute. Die für Besucherinnen und Besucher zugänglichen Gebäude richtete er mit Objekten aus der rasch anwachsenden Sammlung ein. Der ebenso umfangreiche weitere Bestand fand in Stadeln, Schüttkästen und Dachböden Unterkunft.
Das Konzept eines Weinviertler Dorfes aus der Zeit um 1900 fand seit Beginn des Museumsdorfs auch schriftlich Niederschlag in den Museumskatalogen: Diese wurden – wie in späterer Folge die Museumszeitschrift – von Richard Edl verfasst, der den Museumsaufbau fast von Beginn an in vielen Funktionen mittrug. 2008 erfolgte die Umwandlung des Trägervereins in einen Freundesverein, während der Museumsbetrieb von einer Betriebsgesellschaft übernommen wurde. Schließlich begann die wissenschaftliche Museumsarbeit mit der Erstellung eines Leitbildes und von Sammlungskriterien sowie der sukzessiven Sammlungsaufarbeitung, die im aktuellen Förderprojekt „Kulturerbe digital“ ihren Höhepunkt findet.
Sammlungsaufarbeitung
Unter „Sammlungsaufarbeitung“ verstehen wir im Museumsdorf drei große Schritte, die aufeinander aufbauen, und zwar Evaluieren des Bestandes, Inventarisieren und Online-Verfügbarmachen.
Die Evaluierung der oft gar nicht oder nur sehr spärlich inventarisierten Objekte, die mittlerweile in den beiden Depots (eines für Textilien, eines für alle weiteren Objekte v.a. aus Holz, Metall und Keramik), aber auch noch im Freigelände gelagert sind, erfolgt ebenfalls in mehreren Etappen. Nach der groben Reinigung kontrollieren wir sorgfältig, ob das Objekt schon eine Inventarnummer hat. Wenn weder am Objekt eine Nummer zu finden noch mithilfe von Archivfotos oder alten Karteikarten eine zuzuordnen ist, folgt die Evaluierung anhand der klar definierten Sammlungskriterien des Weinviertler Museumsdorfs Niedersulz: Stammen die Objekte aus dem heutigen Weinviertel? Davon können wir in den meisten Fällen ausgehen, da die Sammlungsfahrten meist im Weinviertel unternommen worden bzw. Objektangebote oft aus der Region gekommen sind. Passt das Alter der Objekte in den Zeitraum, den das Museumsdorf darstellt, also ungefähr das 19. Jahrhundert? Und stammen die Objekte aus dörflichem Umfeld (sind also nicht bürgerlich/städtisch/herrschaftlich)? Treffen diese drei Kriterien zu, folgt die wichtigste Museumsarbeit schlechthin – das Inventarisieren.
Inventarisieren
Im Museumsdorf arbeiten wir mit der Vollversion des Softwareprogramms Imdas Pro. Das fachgerechte Inventarisieren beinhaltet – als Erweiterung einer raschen Bestandserhebung mit wenigen Grunddaten – die Erfassung möglichst vieler Objektdaten: Nach der Vergabe von Inventar- und Eingangsnummer folgen Objektbezeichnung, Sammlungsgliederung (also die Verschlagwortung nach vorgegebenem Thesaurus), Beschreibung, Material und Technik (ebenfalls nach vorgegebenen Thesauri), Entstehungszeitraum, Maße, Herkunft (Ortschaft und Vorbesitzerin bzw. Vorbesitzer) und natürlich ein hoch aufgelöstes Foto, anhand dessen das Objekt eindeutig identifiziert werden kann. Diese Arbeit erfordert ein großes Maß an Wissen, Erfahrung oder Recherche, denn nicht einmal die Objektbezeichnung erschließt sich immer „von selbst“. So mussten wir für einen relativ umfangreichen Bestand – letztendlich 1.066 Stück anstatt der von der Übergeberin geschätzten ca. 400 Stück – erst die Bezeichnung „Stickvorlagenschablone“ und die entsprechende Beschreibung festlegen, da auch nach intensiver Recherche keinerlei Literatur zu dem Thema gefunden werden konnte.
Die Sammlungsaufarbeitung mit Bestandsevaluierung und Inventarisierung der grob geschätzten 30.000 Objekte durch Fachpersonal ist erst seit einigen Jahren mit dem Aufbau einer wissenschaftlichen Abteilung möglich, fand jedoch neben vielen anderen Tätigkeiten statt und konnte nicht kontinuierlich durchgeführt werden. Riesige Unterstützung bekamen wir – das sind die beiden Mitarbeiterinnen Traude Hruschka und Annina Forster und ich als wissenschaftliche Leiterin des Museumsdorfs – durch Projektmitarbeiterinnen des Instituts für die Geschichte des ländlichen Raumes, die extra dafür von der Kulturabteilung des Landes Niederösterreich zur Verfügung gestellt wurden. Hanna Dittmer, Sophie Oßberger und Tabea Söregi inventarisierten – nach einer entsprechenden Einschulungsphase und mit laufender Begleitung durch das Museumsdorf-Team – von September 2021 bis August 2023 insgesamt rund 8.700 Objekte aus den Bereichen Hausrat, Handwerk und Textilien.
Wertvolle Unterstützung bekamen und bekommen bekommen wir dabei auch von der ehrenamtlichen Mitarbeiterin Monika Schwanzer bei Reinigung, Etiketten mit Inventarnummern für Textilien vorschreiben und annähen etc.
Kulturerbe digital – Veröffentlichung des inventarisierten Sammlungsbestandes
Das laufende Projekt „Kulturerbe digital“ – gefördert vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (BMKÖS), finanziert von der Europäischen Union sowie der Kulturabteilung des Landes Niederösterreich – stellt die Fortsetzung der Sammlungsaufarbeitung dar und hat die Anstellung von zwei neuen Projektmitarbeiterinnen sowie die Stundenaufstockung zweier Mitarbeiterinnen ermöglicht. Es bietet die großartige Gelegenheit, einen Teil der beim Inventarisieren gewonnenen Daten online zu stellen und damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Barbara Eisenhardt und Sabrina Lang haben bis dato rund 3.000 Objekte aus den Bereichen Textilien und Landwirtschaft sowie Restbestände (Handwerk, Hausrat etc.) umfassend inventarisiert.
Hier das Beispiel einer ausführlichen Objektbeschreibung, verfasst von Sabrina Lang:
„Kornfege; Windmühle ugs.; naturbelassen,1 rechteckige Getreideputzmühle (a) mit zahnradbetriebenem, manuellen Kurbelantrieb (b); 4 Standfüße, 4 Tragegriffen; 1 hölzerne halbkreisförmige Trommelwand; beidseitig je 1 runde Öffnung als Luftzufuhr für fünfflügeliges Windrad; darunter 1 Ausflussöffnung mit Rüttelantrieb; 1 wannenförmiger Einschütttrichter mit schrägen Boden und verstellbaren Mengenschieber; mit darunter sitzenden Siebkasten montiert; Siebkasten mit 2 Einschubfächer; 4 Siebeinsätze (c-f); 1 hölzernes breites Nockenrad als Rüttelantrieb; innen 2 diagonale leicht versetzte Gleitleisten mit 1 Schüttrinne (g) und 1 Trennbrett (h); 1 nachträglich aufgenagelte und mit Draht fixierte Kornrutsche mit seitlichen Auslass; Schablonendruck-Aufschrift in schwarz: 1.) über dem Trommelgehäuse, am Querbalken die Nummer "70"; 2.) an der Trommelwölbung: "August Kaudela Unter-Stinkenbrunn"“
Digitalisierungsherausforderungen
Für das Online-Stellen im niederösterreichweiten Digitalen Inventarisierungsportal (DIP), der österreichweiten Vernetzungsplattform „Kulturpool“ sowie in weiterer Folge auch in der virtuellen Bibliothek „Europeana“ haben wir folgende Felder ausgewählt: Inventarnummer, Objektbezeichnung, Sammlungsgliederung (Beschlagwortung nach vorgegebenen Thesauri), Beschreibung, Material, Technik, Entstehungszeitraum, Maße und natürlich das jeweilige Foto.
Gerade zu Beginn des Projekts hat die Implementierung überarbeiteter einheitlicher Thesauri in den Bereichen Technik und Sammlungsgliederung viel Zeit gekostet. Bevor jedoch die Daten der bisher inventarisierten Objekte online gehen können, ist eine Datenbereinigung bzw. -ergänzung bei bestehenden Datensätzen erforderlich.
Dies stellt uns – trotz eines im Laufe der Jahre ausgearbeiteten, umfangreichen Inventarisierungs-Manuals – vor allem bei älteren Datensätzen vor neue Herausforderungen bzw. Entscheidungen. Manchmal geht es einfach nur um die Schreibweise (z.B. Leichse oder Leixe), manchmal um die Bezeichnung (z.B. Masche oder Schleife), manchmal um die Funktion eines Objekts (z.B. eines bestimmten Werkzeugs) – und in ganz seltenen Fällen ist ein Objekt gar nicht zu definieren. Hier besteht die Hoffnung, dass durch die Online-Verfügbarkeit so manches dieser unbekannten Objekte durch externe Userinnen und User benannt und seine Funktion beschrieben werden kann.
Bei den Arbeitsschritten des „digitalen Aufräumens“ leistet Martha Wittmann wertvolle Unterstützung, indem sie Datenlisten erstellt und kontrolliert sowie die dazugehörigen Fotoordner zusammenstellt, die sie ans Museumsmanagement Niederösterreich zur Veröffentlichung im DIPkatalog übermittelt.
Die intensive Beschäftigung mit der Sammlung, das digitale Aufräumen in Imdas Pro und Vereinheitlichen unserer Datensätze macht uns allen viel Freude und wird nicht nur unsere zukünftige Museumsarbeit erleichtern, sondern auch den quasi weltweiten Zugriff auf unsere Sammlungsschätze ermöglichen. Schließlich stellen auch früher ganz alltägliche Objekte aus Hausrat und Textilien, Handwerk und Landwirtschaft Schätze und wertvolles Kulturerbe dar!
Autorin: Dr.in Veronika Plöckinger-Walenta,
wissenschaftliche Leiterin vom Weinviertler Museumsdorf Niedersulz
Weiterführende Links:
- Weinviertler Museumsdorf Niedersulz
- Institut für Geschichte des ländlichen Raumes
- DIP.noemuseen: webbasierte Sammlungsdatenbank für Niederösterreichs Museumsschätze
- DIPkatalog.noemuseen: niederösterreichische Sammlungen online erkunden
- Kulturpool: Österreichs digitales Kulturerbe erforschen
- Europeana: Europas digitales Kulturerbe entdecken